AW: Die Krise in Portugal - wie sieht sie konkret aus?
...Ich möchte aber dennoch auch nochmal ans Thema erinnern: Wie macht sich die Krise bemerkbar?...
Kai
Das hast Du schoen angemerkt
Du siehst aber u.A. auch an Deinen Einlassungen zu Nassauer's Posting, dass es einfacher ist sich vom Thema zu entfernen, als Topic zu bleiben.
Es wird zu Deiner Anfrage sehr viel geschrieben. Keine 3-Kuerzel-Postings, sondern mehr oder minder Aussagekraeftiges. Finde ich toll, denn das ist Kommunikation.
Leider hat sich hier und dort zum Deinem Thema "Auswirkungen der Krise in
Portugal" auch das Ein oder Andere aus deutschen Landen eingeschmuggelt.
Deutschland interessiert mich insofern nicht, weil ich HIER lebe, hier Kollegen, Freunde und Nachbarn (fast wie Famlie) habe. Von daher ist mir Dein Thread recht willkommen, und ich wuerde mir wuenschen dass hier auch nur die
Krise Portugal abgehandelt wird.
Aber Deutsche/Hollaender, welche hier leben, koennen Vergleiche aus der alten Heimat in Bezug bringen, denn irgendwo muss man seine persoenliche (aktuell) erlebte Auffassung dieser Krise dem Lesenden plausibel machen.
Ich gebe Dir vollkommen Recht mit o.a. Zitat zurueck
zum Thema, aber ohne Vergleichs-
Fakten geht es nicht immer zu vermitteln.
Weiter oben in einem Vorposting hast Du geschrieben
Was man sich klarmachen muss ist folgendes: Die wie gesagt unsicheren Zahlen von Portugal und Deutschland einfach zu vergleichen, ist absolut unzulässig, unwissenschaftlich und führt in die Irre. Was auch immer man damit sagen will: so geht es nicht!
Dem ist nichts hinzuzufuegen, ausser dass es nicht immer ohne Zahlen geht. Solange diese auf Fakten beruhen, und nicht nur aufgrund statistisch (hochgerechneter) Werte, koennen Zahlen die Plausibilitaet untermauern.
Aber nun wirklich zurueck zum Thema
euzinho schrieb
Es gibt viele junge, schlaue, kreative Portugiesen, die längst international ausgerichtet sind, da der Export oft die einzige Überlebensmöglichkeit ist.
Auch all die Diskussionen über den Zustand des Landes haben bestimmt eine positive Wirkung auf viele Leute. Selbst die Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Ursachen haben ihr Gutes. Der Status Quo wird hinterfragt, Probleme offen angesprochen wie nie zuvor, usw.
Das ist schon richtig, aber eingeschraenkend muss man anmerken, dass dieser Versuch des "Schubs" sogut wie von NUR
jungen Portugiesen kommt. Bei den "Alten" habe ich den Eindruck, dass sie sich noch unter Salazar waehnen, d.h.
ICH bin der Boss,
ICH habe zwar fuer jeden einzelnen Aktenordner, fuer jeden "Pups" eine als Chef delegierte Person welche sich darum und auch NUR DARUM kuemmert, aber trotzdem zaehlt nur
MEIN Wort.
Organisation und Information sind totale Fremdworte dort wo ich arbeite (eines der groessten Unternehmen - wenn nicht sogar das Groesste - in dieser Branche).
Ich moechte nicht mitteilen wo ich arbeite bzw in welcher Branche, denn Loyalitaet hat Prioritaet.
Trotzdem denke ich, dass es moeglich ist anhand einfach Beispiele Erkenntnisse / Erfahrungen mitzuteilen ohne Ross und Reiter zu nennen.
Diese Beispiele, auch wenn sie evtl nur banal klingen, ziehen sich durch saemtliche Bereiche.
Mit etwas Phantasie laesst sich die Muecke auch als den Elefanten darstellen, welcher tatsaechlich so existiert
Es wurde nicht "gehaushaltet":
Qualitativ gutes Verbrauchsmaterial ueberteuert eingekauft.
Dieses Verbrauchsmaterial ohne Ruecksicht auf Verluste "verprasst".
4-5 "Chefe" haben ich angesprochen und Vorschlaege gemacht. Ohne Reaktion.
Kollegen auf den schlampigen Verbrauch hingewiesen, und durfte dann hoeren "..não sao meus dinheiros..".
Ich habe ihnen versucht zu erklaeren, dass o Patrao IMMER mindest das gleiche (un)versteuerte Geld sein Eigen nennen moechte. Wenn nicht sogar noch mehr. Das er im negativen Fall eher Joao, Ze, Ana und Maria entlaesst, statt seiner eigenen Tasche ewas abzuknapsen.
5 Maeuler, alle mit der gleichen Antwort: "..DAS wird nicht passieren. WIR sind die groesste Firma. UNS geht es gut.."
Anderes Beispiel:
ICH darf fuer 100% Gehalt
NUR 30% arbeiten... JA, es stimmt ! Mir wurde mehrmals mitgeteilt, dass es
VERBOTEN ist
waehrend meiner "Leerlaufzeiten" andere Arbeiten zu machen bzw den Kollegen zu helfen.
Unabhaengig davon, dass dies sowas von stupid ist, werde ich zunehmend veraergerter aufgrund meiner eingedeutschten Arbeitsmoral.
Es ist egal wieviel ich verdiene, aber fuer 100% Lohn/Gehalt
will ich auch 100% Leistung bringen.
An irgendeinem anderen Arbeitsplatz ist fuer 1 Person 200%
Arbeit vorhanden. Sie/Er kann dies nicht schaffen. Unmoeglich. Das weiss der zustaendig delegierte "Chefe" auch. Also was macht er? Er geht zu einem anderen "Chefe", dieser womoeglich wieder zu einem anderen "Chefe" und schwups hat der Betrieb entweder einen Arbeitnehmer mehr, oder es wird fuer die Zeit des uebermaessigen Arbeitsaufkommens Personal bei einem Subunternehmen angeheuert.
Aufgeblaeht mit ueberteuertem Verbrauchsmaterial, aufgeblaeht ohne wirklichen Anlass (denn ICH z.B. koennte irgendwo helfend einspringen) mit weiterem (Fremd)Personal, Karneval-Kamelle-werfende Verbrauchsorgien bei Material waren Tagesordnung.
Aber niemand hat bedacht, dass ein reiner Produktionsbetrieb von Fremd-Auftraegen abhaengig ist.
Wir sind die "Groessten" sagt keiner mehr, nachdem Auftraege ausblieben, nachdem seitens der Auftraggeber Preise nachverhandelt und gedrueckt wurden, nachdem den Besserverdienenden das "Handgeld" nun offiziell und versteuert gezahlt wird, nachdem Ueberstunden nicht mehr wie "Handgeld" gezahlt werden sondern dafuer Stunden-Konten zum abfeiern angelegt wurden, nachdem Joao statt der vormals angemerkten 200%
Arbeit nur 150% dieser leisten muss und Maria dafuer statt 100%
Arbeit nun auch 150% leisten darf
Aber ICH ;( darf immer noch nur 30% leisten
Nachdem keiner mehr weiss wann Lohn/Gehalt aufs Konto gebucht wird. Bis vor 6-7 Monaten war es spaetestens am Monatsletzten verbucht. Mittlerweile dauert es bis zum 6.,7. des Folgemonats.
Wohlgemerkt immer ohne jegliche Information, was besonders fuer die Mindestlohnempfaenger hart ist. Insbesondere dann, wenn sie auf oeffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind.
Eine Bus-Monatskarte fuer die naehere Umgebung (Umkreis ca. 10 KM) kostet denke ich mal ca. 40 Euro. Die muss man dann noch zur Verfuegung haben am Monatsende, damit die Monatskarte wieder aufgeladen werden kann. Sollte dies nicht der Fall sein, wuerde die Hin-Rueckfahrt zum naechsten Ort taeglich 4,40 Euro kosten x 6 Tage = 26,40 Euro Mehr wie happig fuer Mindestlohnempfaenger, und in keiner Relation zum Preis der Monatskarte, welche ja schliesslich nach den 6 Tagen auch noch gekauft werden muss.
Kollegen, welche mit dem eigenen PKW zur
Arbeit fuhren (natuerlich das Fehrzeug immer nur mit dem Fahrer besetzt), bilden Fahrgemeinschaften und wechseln sich woechentlich ab.
Bis vor 6-7 Monaten waren an Tagen der Bankgutschrift ueber Lohn/Gehalt, beziehungsweise am Tag des Ueberstunden-Handgelds die Muelleimer voll mit MCuebel-Verpackungen. Das sieht man mittlerweile nicht mehr.
Auch die Ins-Haus-Bestellungen bei Restaurants, Pizzerien usw sind drastisch bis fast auf Null.
Im Centro Comercial - nicht sehr gross wie z.B. die Centren Colombo, Expo usw, aber immerhin mit ca. 50 unterschiedlichen Geschaeften, Restaurants, Cafes - verzeichnet immer mehr Geschaeftsaufloesungen.
Inhaber der noch bestehenden Betriebe, welche zu Jahresanfang mir noch sagten dass dann und dann wegen Urlaub geschlossen ist, haben ohne Ruhetag/Urlaub durchgearbeitet/geoeffnet.
Kollegen, welche im vergangenen Jahr noch in Mexico, Dom Rep, Tuerkei urlaubten, hatten dieses Jahr Ausreden wie "...muss zu Hause renovieren...".
Aaaaah, halt, fast vergessen... Brasilien wurde dieses Jahr viel angeflogen von Kolleginnen und Kollegen. Hatten aber alle nur einen Hinflug gebucht. Ehrliche Begruendung sinngemaess "..hier in Portugal wird das Leben immer schwerer. Aber zuhause in Brasilien ist der Aufschwung, und es werden bessere Loehne gezahlt..".
"Die Ratten verlassen das sinkende Schiff" kann man hier
NICHT anfuehren, denn der Kapitaen ist nicht deren Kapitaen.
Mit "Schiff" meine ich Portugal, nicht unbedingt das Unternehmen bei welchem ich arbeite, denn mittlerweile sind die Auftragsbuecher gut bestueckt und die Produktion fast ausgelastet. Aber es ist weniger Geld im Unternehmen, womit ich rueckschliesse dass trotz mittlerweile wieder relativ guter Auftragslage geldwerte Zugestaendnisse an die Auftraggeber gemacht wurden.
Ich fuer meinen Teil werde nicht "abhauen". Ich schaue mir die 1. Gehaltsabrechnung in 2013 an, und werde dann je nach Erhoehung der Abgaben vermutlich die Moeglichkeit versuchen anzugehen mir zumindest die Sozialversicherung (Seguranca Social) rueckerstatten zu lassen.