Auf nach Lisboa !
Der Tag fängt nach nur wenigen Stunden Schlaf relativ gut an. Eine Kollegin vom Großen kommt, um uns zu fahren. Zehn Kilometer bis zum Bahnhof kann man für diesen Anlass schlecht laufen und das Auto in Leer tagelang stehen lassen möchten wir auch nicht. Aber nun ist es geregelt und wir sitzen im Regionalzug, der vor sich hin bummelt. Mit Umstieg.
Ab Bremen eilen die Gedanken voraus gen Hamburg. Dort angekommen möchte mein Held unbedingt das Abflugterminal, bzw. den Schalter zum Check-in sehen. Er kennt bisher nur den kleinen Flughafen von Bremen, nun sieht es ganz anders aus. Massen von Fluggästen drängen sich durch Flure und Hallen, unser Schalter ist gaaanz hinten, wie könnte es auch anders sein. Also laufen, ab und an auf's Rollband stellen. Und erneut laufen...
Im Gegensatz zum Partner (dem ich auf speziellen Wunsch einen Rollkoffer gekauft habe) trage ich eine Art Einkaufs-Bag mit 36 l Stauraum. Die Idee war vom Prinzip her gut. Und entstanden, weil der Günstigflieger Kleingepäck innerhalb der Kabine kostenlos zulässt. Mit genauen Maßen. Und Gewicht. Ich hasse "Rollis", meine Wanderrucksäcke waren zu sperrig, also kam ich auf die Idee mit dem Bag, etwas modifiziert, damit oben nichts rausfällt. Verflixt nochmal, warum muss ich immer Extrawürste braten?! Im Prinzip war es eine gute Idee. Allerdings fehlt jegliches Tragegestell und gepolstert ist auch nichts, außerdem würgen mich die Gurte, die sich eng zusammenziehen. Na prima.
Ich könnte bald auch jemanden würgen. Der so ziemlich in jeder zweiten Raucherkabine Gast wird. Und ich stehe derweil mit dem Gepäck im Weg herum. Natürlich ist am Schalter noch niemand. Und angezeigt wird auch nichts. Also wieder retour. Wir sind zu früh, logischerweise ist man ja rechtzeitig da, mit Puffer. Was uns nun aber zum Verhängnis wird. Denn plötzlich schallt es laut und deutlich aus den Lautsprechern: "Ihr Flug nach Lissabon verspätet sich um etwa zwei Stunden!"
"Herr, gib mir Geduld und zwar jetzt, sofort und gleich!!"
Auf einer Empore mit Stühlen (mühsam erklommen) werden wir unfreundlich verjagt: "Nur für zahlende Gäste!" Also hocke ich mich auf eine Treppe und hüte das Gepäck, während der Große nun jede Ecke des Flughafens ganz genau und in Ruhe erkunden kann. Oh Mann...
Viele Stunden später tauchen nach dem Sinkflug der Maschine endlich die Lichter des Reiseziels in tiefster Dunkelheit unter uns auf. Oh, das ist eindeutig nicht
Porto. Dies ist eine ausufernde Großstadt und ich bin zu kaputt um mich zu freuen, oder zu wundern. Ich will nur noch raus aus der Blechkiste, ab ins kleine Haus und mich im Bett verkriechen. Da müssen wir aber erst hinkommen. Eigentlich wollten wir mit der Metro fahren, aber nun, in dieser schwarzen Nacht aber besser nicht. Ein Taxi muss her!
Die erste Überraschung: Man reiht sich an einem Fußgängerübergang ordentlich zur Schlange auf. Dort steht jemand der einen Wagen heranwinkt. Die Fahrgäste steigen ein, das Gepäck wird verstaut, los geht's. Die nächsten Wartenden sind dran. Imponiert mir kolossal, trotz mittlerweile hämmernden Kopfschmerzen! Endlich sind
wir dran. Gepäck im Kofferraum kostet extra. Hatte ich mir angelesen. Wehre mich aber nun nicht mehr. Ist alles schon egal. Aber sowas von!
Der Fahrer schweigt. Und fährt. Ich schaue. Große Häuser. Einkaufszentren. Schnellstraßen. Und alles von vorn. Allmählich geht mir auf: "Dies ist
tatsächlich nicht Porto! Was will ich hier?" Der Fahrer fährt und fährt und fährt. Ich rechne insgeheim zusammen und komme auf bestimmt 30€ Fahrtkosten, plus Kofferraumzuschlag. Die Straßen werden schmaler, die Laternen dunkler. Und umgekehrt. Unsere Vermieterin tut mir leid. Per SMS hatte ich ihr die Situation von Hamburg aus erklärt. Da sie extra aus Cascais kommen muss, um uns zu empfangen.
Das Taxi will abbiegen, in eine klitzekleine Gasse. Aber wir stehen direkt vor den Schaufenstern des be-rühmten Ladens "Pastéis de Belém". Die letzten paar Meter können wir laufen, entscheide ich. Der Fahrer gibt uns die beiden Gepäckteile und ich ihm die angedachten Scheine. Er ist irgendwie erstaunt und gibt mir sofort einen zurück. Das sei zu viel, nein, nein, das nimmt er nicht an. Zweite Überraschung in dieser Stadt, nach gelassen aufgereiht warten nun: Kunden nicht betrügen!
Das nächste Erstaunen folgt. "Monica", die Eigentümerin, erwartet uns mit ihrem Mann müde, aber freundlich, in ihrem Zwergenhäuschen. Wir schauen uns an, wechseln wenige Worte und fallen uns in die Arme, als seien wir Schwestern, herzen und küssen uns. Sie müsse in wenigen Stunden wieder im Büro sein, erklärt sie uns. Leider. Auf dem Tisch liege alles Infomaterial und ich könne immer anrufen oder schreiben, falls etwas unklar sein solle. Lacht, als ich zwei Lissabon-Reiseführer hervorkrame: "Wir sind gut vorbereitet, fahrt schnell heim, wir finden schon alles!" Das tun sie dann auch. Wir winken auf der schmalen Gasse alle, als würden wir uns seit Jahren kennen...
Nur rechts! Die Tür, ein Fenster und bei Tageslicht schön apricotfarben...
Ich werde der Stadt doch noch eine Chance geben, das ist in diesem Moment klar.
Aber sie mir auch?
Erste Nacht in Belém
Also bei
den Verriegelungen an der Tür sind wir sicher wie in einem Tresor. Das wird Gründe haben befürchte ich, sonst hätte man das "Tiny House" bestimmt nicht so aufwändig gesichert. Hoffentlich kommt nächtens nicht die Panzerknackerbande vorbei! Die nicht, aber andere nette Männer...
Das Häuschen erweist sich von innen als ausreichend geräumig und wirklich niedlich ausgestattet. Es war die richtige Wahl und ich bin sehr erleichtert. Früher hat mein langjähriger Freund alles geregelt, davor mein Mann. Beide älter (und reifer) als ich. Und mehrsprachig.
Nun hängt alles an mir. Im Grundsatz ist das in Ordnung, aber irgendwie ist es auch eine auf mir lastende Verantwortung. Flüge organisieren, abgestimmt auf Übernachtungen, diese suchen (wo jeder von uns einen anderen Anspruch hat). Vor Ort geht es permanent weiter so. Einkaufsläden suchen, Sehenswürdigkeiten, die richtige Metro-Linie, oder den Bus. Dazu gehört die Klärung der Öffnungszeiten, der Kauf von Tickets an Automaten, das Gespräch mit Passanten, wenn eine Frage notwendig wird. Meistens alles mit einer Karte in der Hand. Ich muss buchstäblich den Plan haben. Das war schon als alleinerziehende Mutter so, nun sind die Kids gerwachsen und jetzt habe ich sozusagen ein weiteres dazu bekommen. Unverhofft. Und manchmal laugt mich das total aus, ruft Migräne hervor. Wohl, um eine Auszeit zu erzwingen. Dazu haben wir einen gegensätzlichen Schlafrhythmus, das macht es nicht einfacher. Auch nicht für ihn.
Wir packen unsere wenigen Sachen aus, freuen uns über Kleinigkeiten im Kühlschrank für's Frühstück. Irgendwie sind wir total kaputt und gleichzeitig aufgedreht. Man könnte noch ein wenig die Umgebung erkunden, also los. Die Nacht ist warm, das kennt der Große im November nicht. Die Palmen begeistern ihn, der nahe "quiosque", die überall noch reichlich blühenden Pflanzen, dass wir noch Eltern mit kleinen Kindern begegnen, die so ganz anderen Laternen. Also eigentlich alles... Gut so!
Mich zieht es hinunter zum Tejo. In Porto hatten wir für eine Woche ein Zimmer in der Jugendherberge. Mit grandioser Aussicht auf den Douro und seine Mündung in den Atlantik. Und sogar einem Balkon, das versöhnte mich mit dem für Portugal eher untypischen Baustil, der mich eher an's Bauhaus erinnerte. Denn nachts fuhren die kleinen Fischerboote vorbei, nur von ihrenLämpchen beleuchtet. Neun waren es und ab dem zweiten Abend zählte ich mit, wenn die Dieselmotoren vorbei tuckerten. Manchmal waren es nur acht und ich überlegte, was wohl los sein möge. Meistens dieselte der Nachzügler eine Viertelstunde später vorbei. Alles war gut!
Für Lissabon hatte ich mir ganz im Hinterkopf ähnliches erhofft, auf der Karte des Vororts Belém sah es jedenfalls so aus. Er sei erdbebensicher, hatte uns Monica noch erklärt, da auf Felsen gebaut. Nach Monsterschloss und Katastrophenschutz war allerdings noch etwas sicher. Was ich nicht im Geringsten ahnte und alles veränderte. Denn wir bummelten die kleine Gasse hinunter, links auf der Ecke Pastéis de Belem, über die Straße, also direkt auf den nahen Fluss zu, den man gut vernehmen konnte. Eine parkähnliche Gartenanlage tat sich auf, mit zauberhaften Pavillons, Beeten, Bänken und eben der herrlich lauen Luft. Ich fühlte mich wie im Paradies. Bis wir abrupt vor einem mittelhohen Maschendrahtzaun strandeten. Was war das? Ein Betriebsgeände? Ach, wie schade! Wir gingen daran entlang und im Licht der nächsten fahlen Laterne erkannte ich was es war: Der Sicherheitszaun, der Unbedarfte vom Betreten der Gleise abhielt. Denn dort rauschten die Züge der Linie Lisboa - Cascais in beiden Richtungen entlang. Es gab dort keine Chance zum Ufer zu kommen, das war schon mal klar!
Ich war tief enttäuscht und ahnte:
Es könnten sich noch weitere Enttäuschungen ergeben...