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meine ersten Erfahrungen

Ihr seid ja eine ganz liebe Gemeinschaft., Chapeu für Euch! Ich war gestern Abend noch aus...

Das Flüstern von Paris und die Nacht senkt sich

Als die Dämmerung in ein tiefes, sattes Blau umschlug, zog die Kühle des Tages endgültig in die Gassen ein. Das Glühen der Straßenlaternen tauchte die Bürgersteige in einen nassen, goldenen Schein. Ich fand meinen Weg zu einem Ort, an dem die Seele von Paris am freimütigsten schwingt: einem versteckten Jazzclub im Quartier Latin.
Ich stieg eine schmale, steinerne Treppe hinab, und mit jedem Schritt sank der Lärm der Stadt ab, ersetzt durch ein tiefes, warmes Murmeln. Die Luft im Keller war dick von den Aromen alten Holzes, rotem Wein und dem melancholischen Duft von altem Tabakrauch, der in den Samtvorhängen hing.
Drinnen herrschte eine intime Dunkelheit, durchbrochen nur vom schwachen Schein kleiner Tischlampen. Die Wände waren gesäumt von Schwarz-Weiß-Fotografien vergessener Musiker, vergangener Welten, und das Publikum saß dicht gedrängt an kleinen, runden Tischen. Ich fand Platz zwischen Fremden und bestellte ein Glas Rotwein, der so dunkel war wie die Schatten im Raum.
Und dann begann die Musik.
Das erste Stück rollte ein wie eine sanfte Welle. Das Saxophon klagte eine tiefe, raue Melodie, die direkt in die Brust traf – ein Klang, der von Liebe und Verlust, von Sehnsucht und Trost sprach, ein Klang einer Stimme gleichend. Die Töne waren eine Erzählung, die in einer Sprache gesprochen wurde, die jeder verstand, unabhängig von der Muttersprache, ein menschlicher Zustand vor dem Turmbau zu Babel, als alle Menschen noch eine gemeinsame Sprache hatten.
Die Musiker, der Bassist, dessen Finger über die dicken Saiten tanzten, der Schlagzeuger, der mit Besen über die Snare fegte, und der Pianist, dessen Akkorde Funken sprühten, schienen in einer stillen Zwiesprache untereinander zu sein, nur zu erahnen von den Zuhörern. Es war Improvisation in Reinkultur, die flüchtige Schönheit des Moments, das Einmalige, nicht wiederholbare unbekannte Gespräch der Instrumente.
Während der Wein im Glas wärmer wurde, sank die Musik in mich hinein. Hier, umgeben von Fremden in der Dunkelheit, schien die Stadt der Liebe einen neuen Sinn zu bekommen. Paris war in diesem Moment nicht die Stadt der großen Gesten am Eiffelturm, an Notre Dame, sondern die Stadt der verbundenen Herzen im rhythmischen Puls des Jazz, der Herzschlag der fast Fremden, vereint in diesem dunklen Club.
Die Musik nahm die Gedanken des Tages auf, die Zugfahrt, die Bilder der Landschaft, die Schichten Europas, das Fremde, fremd und doch vertraut, die Erhabenheit von Musik, der Geschmack des Weins von anderen Welten, von Aromen in meinem Gaumen, die flüchtigen Blicke und das gemeinsame Erleben und webte sie in einen einzigen, komplexen Teppich aus Gefühl. Es war ein perfekter, musikalischer Ausklang, der die Vorfreude auf das mildere Wetter des Morgens wie eine leise, beschwingte Note in die Nacht trug.
Als das Set endete und das Applaudieren die Stille brach, fühlte ich mich nicht mehr als bloßer Beobachter, ich waren Teil des geheimen, pulsierenden Herzens von Paris.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein unentdecktes? Talent! Schreibst Du regelmäßig?
Ein Riesenlob, es ist selten, dass (heutzutage) Menschen so brillant mit Worten umgehen können.
 
Danke...

@Farbenzeit ich habe kein wirkliches Interesse daran entdeckt zu werden, es ist mir egal, nicht wichtig:

Utukufu hupotea,
Kifo huita wote,
Penda hubaki tu.

in deutsch:
Ruhm schwindet,
der Tod ruft uns alle,
die Liebe bleibt allein.

Ja, es ist wichtig mit mir achtsam umzugehen und keiner anderen Seele, der Umwelt, den Tieren, den Pflanzen in dieser Welt zu schaden. Es ist wichtig mich und meine Fähigkeiten zu fördern, zufrieden und in guter Qualität zu leben (damit meine ich nicht die schönsten Partnerinnen, das tollste Auto, das meiste Geld zu besitzen, wie kann ich etwas besitzen, wenn ich nur "Gast" in dieser Welt bin und vermutlich nichts mitnehmen kann :-D ). Aber vor meiner Geburt war ich tot, nach meinem zukünftigen Sterben dergleichen.

Ich schreibe Tagebuch, mal ausführlicher, mal kürzer. Mein Reisebericht sind Auszüge daraus.

Ansonsten bin ich Liebhaber von Haiku. Ich versuche auch in meinen anderen Sprachen diese zu schreiben, siehe oben. Das ist ein Haiku in Suaheli.
 
Danke...

ich habe kein wirkliches Interesse daran entdeckt zu werden...

Ich schreibe Tagebuch, mal ausführlicher, mal kürzer. Mein Reisebericht sind Auszüge daraus.
Dann um so mehr Dank dafür, dass wir ein bisschen daran teilhaben dürfen.
Ansonsten bin ich Liebhaber von Haiku.
Da habe ich mich auch ein wenig dran versucht, eine schöne Aufgabe.
 
Es geht weiter, Sonntag und heute morgen...


Der Tag erwachte über Paris in einem sanften Grau, das die Stadt in die Farben alter Postkarten tauchte. Ein Nebelschleier, dünn wie Chiffon, hing noch über den Dächern, während ich meinen Spaziergang durch die Innenstadt begann. Die Luft war kühl und trug den Geruch von frisch gebackenem Brot und nassen Pflastersteinen.
Die Schritte hallten leise auf den Trottoirs, vorbei an hohen, honigfarbenen Haussmann-Fassaden, deren Balkone mit kunstvollen Schmiedeeisen-Geländern verziert waren. Die Stadt atmete langsam ein. Jeder Blickwinkel schien ein Gemälde zu sein, eine melancholische Dame mit einem Baguette unter dem Arm, ein alter Mann, der seine Markise herabließ, das metallische Klirren eines Fahrrads, das über die Bordsteine rumpelte.
Als ich dem Ufer der Seine folgten, trat er aus dem Morgendunst hervor: der Eiffelturm. Nicht nur ein Bauwerk, sondern eine Silhouette, die in den Himmel gestanzt war, ein riesiger, komplizierter Reifrock aus genietetem Eisen. Er stand da, fern und doch präsent, die monumentale Liebeserklärung eines Ingenieurs, die das Versprechen von Höhe und Weite in sich trug. Ich verharrte, um die feingliedrige Struktur zu bestaunen, die trotz ihrer Größe eine erstaunliche Eleganz bewahrt.
Weiter flussabwärts, wo die gotische Seele der Stadt am dichtesten ist, empfing mich die ehrfurchtgebietende Statur der Notre-Dame. Selbst in ihrem Wandel strahlte sie eine unerschütterliche Würde aus. Die hohen Strebepfeiler, die steinernen Wächter und die Rosettenfenster, die Geschichten aus Jahrhunderten flüsterten, machten sie zu einem Anker in der strömenden Zeit. Von außen betrachtet war sie mehr als eine Kathedrale; sie war das steinerne Herz der Stadt, ein Denkmal für die ewige Widerstandsfähigkeit der Schönheit.
Nachdem ich die kalte, steinerne Erhabenheit der Notre-Dame hinter mich gelassen hatte, zog es mich zu einer intimeren Form der Pariser Seele: den Bouquinisten. Entlang des Kais der Seine, wo das Wasser dunkel und geschmeidig dahinfloss, standen sie aufgereiht: die berühmten, kohlgrünen Holzkisten, die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Dies war keine Bibliothek und kein moderner Buchladen, sondern eine fließende, offene Galerie des Gedankenguts. Ich öffnete ihre schweren Deckel und sie enthüllten mir einen Schatz aus Papier und Patina. Hier roch es nach Feuchtigkeit, altem Klebstoff und der gesammelten Geschichte vieler Leben.
Ich tauchte ein in die Stille der Suche. Meine Hände streichelten über abgenutzte Ledereinbände, vergilbte Seiten, die Geschichten von Generationen in sich trugen. Ich fand hier seltene Erstausgaben neben kitschigen Pariser Postkarten, verstaubte Kupferstiche, neben Comics aus den Siebzigern. Jeder Band war ein winziges, abgeschlossenes Universum, das darauf wartete, von einem neuen Besitzer adoptiert zu werden. Ich spürte eine fast philosophische Ruhe, die von diesen Ufern ausging. Die Seine rauschte sanft an den Mauern des Quai, während über mir der Verkehr lärmte. Doch hier, zwischen den grünen Kisten, herrschte eine fast andächtige Konzentration auf das gedruckte Wort. Es war, als ob diese Händler nicht einfach Bücher verkauften, sondern Erinnerungen und Möglichkeiten. Ein vergilbter Roman versprach eine Flucht, eine historische Zeitschrift bot einen Blick in eine vergangene Zeit, und eine verblassende Fotografie erzählte eine unvollendete Liebesgeschichte.
Schließlich zog ich einen kleinen Band mit Gedichten heraus. Die Seiten waren weich, der Einband abgenutzt. Es war ein Zufallsfund, eine spontane Verbindung. Als der Band meine Händen ergriff, fühlte es sich an, als hätte ich ein Stück der schreibenden, denkenden Seele von Paris selbst erworben, ein stiller Begleiter für die kühleren Stunden des Tages und das Versprechen, in der Stadt der Liebe die Worte für das Unaussprechliche zu finden. Der Kauf war nur ein kurzer, fast heimlicher Austausch von Münzen. Ich steckte das Buch in meine Tasche und trug damit ein neues Geheimnis weiter, bereit für die nächste Etappe meines Pariser Tages.
Der Vormittag bog in einen Mittag, und die Sonne kämpfte sich endlich durch die Wolkendecke, goss goldenes Licht über die Szenerie. Ich setzte mich an einem der kleinen, runden Tische eines Straßencafés, jener Bühne des Pariser Lebens, mit Blick auf das fließende Schauspiel der Passanten. Der Kellner, in seiner schwarzen Weste und weißen Schürze, nickte knapp, und bald stand eine Tasse Café vor mir, wärmte meine Hände. Ich zog meine Jacke enger und ich begann, die Menschen zu beobachten.
Männer und Frauen eilten vorbei oder flanierten behaglich. Die elegante Dame mit dem perfekt sitzenden Schal, der junge Künstler mit der Mappe unter dem Arm, das Liebespaar, dessen Hände wie zufällig zusammenfanden, der Geschäftsmann, der in seinem Telefon versunken war. Es war ein stilles Studium der menschlichen Natur, ein Blick in das geordnete Chaos der Großstadt.
Meine Gedanken wanderten unweigerlich zu Paris, der Stadt der Liebe. War es wirklich die Liebe, die diese Stadt prägte? Vielleicht war es nicht die romantische Liebe allein, die Hollywood verherrlichte. Vielleicht war Paris die Stadt, die einen lehrt, das Leben selbst zu lieben, das Liebe die Antwort auf alles ist, das einzig bleibende. Die Liebe zur Schönheit, die in jedem Detail steckt, in der Perfektion eines Croissants, im Licht, das durch eine Baumkrone fällt, in der Melodie der französischen Sprache, in der unerschütterlichen Eleganz, mit der man hier lebt. Die Liebe zur Freiheit, einfach dazusitzen, zu beobachten und zu sein. Ich schmeckte den bittersüßen Nachklang des Kaffees und wusste, Paris war ein Versprechen. Ein Versprechen, dass das Leben, selbst an einem kühlen Tag voller alter Steine, immer noch ein Kunstwerk sein konnte. Und morgen, mit der Wärme der Sonne, würde dieses Versprechen nur noch heller strahlen.
Als die Nacht die Stadt vollständig übernommen hatte, wich ihre Kühle nun einer sanften, erwartungsvollen Wärme, dem Vorboten des milden Wetters von morgen. Anstatt in die rauschenden Menschenmassen zu stürzen, suchte ich Zuflucht in der stillen, dunklen Eleganz einer Cave à Vin, einer dieser kleinen Weinhöhlen, die das Quartier Latin so reichlich bietet. Der Raum war niedrig, mit steinernen Mauern, die die Geräusche der Straße dämpften. Hier roch es nach Kork, Erde und fermentierter Traube. Das Licht war gedämpft, goldbraun, geworfen von kleinen Lampen über den Holztischen, an denen man sich eher flüsternd unterhielt. Ich nahm auf einem hohen Hocker Platz.
Meine Wahl fiel, bewusst oder unbewusst, auf einen Pomerol, die flüssige Seele der Rive Droite, die sanfte Antwort auf die Strenge des Médoc. Als das Glas vor mir stand, war es nicht einfach nur Wein, sondern eine Konzentration des französischen Savoir-vivre. Die Farbe, ein tiefes, fast undurchdringliches Granatrot, schien das Abendlicht selbst eingefangen zu haben. Der Duft stieg auf wie eine leise, aber dringliche Einladung.
Die erste Nase war ein Bukett von getrockneten Veilchen, das an einen Spaziergang durch einen Pariser Park im späten Herbst erinnerte. Darauf folgten die satten, dunklen Noten von reifer Pflaume und schwarzer Kirsche, unterlegt von einem Hauch Trüffel und feuchtem Waldboden, die Erde der Gironde, die dem Wein seine Tiefe schenkt. Es war ein Duft, der zur Melancholie neigte, aber Trost versprach. Der erste Schluck war die wahre Offenbarung. Dieser Pomerol sprach nicht von Macht oder Dominanz, nein, er flüsterte von Eleganz. Die Tannine waren samtig, nicht rau oder fordernd, sondern geschmeidig wie gegerbtes Leder oder die Textur eines alten Seidenschals. Er breitete sich am Gaumen aus mit einer wunderbaren Fülle, ohne je schwer zu wirken. Ich schmeckte die Zeit, die in ihm ruhte, die Geduld der Winzer und das Geheimnis des Terroirs.
Er war, in seiner perfekten Balance aus Frucht, Würze und dieser unnachahmlichen Weichheit, der ideale Begleiter für einen Abend der Muße. Er verlangte nicht nach einem opulenten Mahl, sondern nach einem ruhigen Gespräch, einem nachdenklichen Blick aus dem Fenster oder dem langsamen Genuss des Augenblicks. Ein Pomerol ist eben mehr als nur ein Bordeaux. Er ist die flüssige Poesie des Merlot, der Beweis, dass wahre Stärke in der Samtigkeit und Subtilität liegt. Ein Schluck davon, und man hatte das Gefühl, man säße nicht in einer Bar, sondern in einem der großen Salons, in denen einst die literarischen Epochen ihren Anfang nahmen. Mit dem ersten Schluck des Weines, kam die Ruhe. Es war die perfekte Gelegenheit, den Gedichtband vom Bouquinisten hervorzuholen. Während ich die Seiten öffneten und die Augen über die Verse huschten, verschmolzen die Worte mit dem tiefen, roten Ton des Weines.
Die Gedanken kreisten noch einmal um Paris. Es war nicht nur eine Stadt der Liebenden, sondern auch eine Stadt der stillen Abschiede. Jeder, der hierherkam, nahm ein Stück der Stadt mit und hinterließ einen Teil seiner selbst. Der Wein schien diese melancholische Wahrheit zu verstärken. Ich dachte an die morgige Weiterreise. Der Zug nach Spanien, eine neue Landschaft, eine andere Sonne, ein heißerer Rhythmus. Der Wein war die letzte, flüssige Umarmung Frankreichs, ein weicher Übergang. Er schmeckte nach dem Ende der französischen Eleganz und dem Beginn der südlichen Glut.
Als ich mein Glas leerte und das Buch schloss, wussten ich, das war der perfekte letzte Akt in der Stadt. Kein lautes Spektakel, sondern eine stille, tiefe Verbindung. Ich verließ die Cave à Vin mit einem Gefühl von gesättigter Stille, bereit, Paris im Herzen zu bewahren, während ich morgen in die Wärme des Südens reiste.

Der nächste Morgen erwachte, wie es das Wetter vorhergesagt hatte: In sanfter, warmer Milde. Die Luft war leicht, und ein sonniges Versprechen lag über den Dächern. Paris hatte sein graues Chiffon abgelegt und präsentierte sich in den klaren Farben eines neuen Tages.
Ich wählte noch einmal ein Straßencafé, diesmal nicht zum Beobachten, sondern zum tiefen Einatmen. An meinem kleinen Tisch, der nun nicht mehr von der Kälte bedroht war, stand mein klassisches Abschiedsfrühstück: ein perfekt gebuttertes Croissant, dessen Blätterteig bei der kleinsten Berührung zerbröselte, und eine Schale starker, heißer Café. Die Sonne wärmte sanft meine Hände und das Porzellan. Es war ein Morgen der Reflexion. Die Gedanken an die vergangenen Tage, das Zwiegespräch der Instrumente, der stählerne Eiffelturm, die steinernen Wächter von Notre-Dame, die literarische Jagd bei den Bouquinisten und die samtene Seele der Weinbar zogen wie eine Montage an mir vorüber. Es war die Erkenntnis, dass Paris seine wahre Schönheit in der Melange aus Monumentalität und Intimität enthält. Zwischen dem Schluck Kaffee und dem letzten Bissen des Croissants begann ich die Gedanken auf die bevorstehende Weiterfahrt nach Spanien zu richten. Der Zug wartete, das Gleis in den Süden. Der Wechsel der Sprache, der Küche, des Lichts, die Verschiebung von der nordischen Eleganz zur mediterranen Glut. Der Abschied war nicht von Traurigkeit gezeichnet, sondern von einer stillen Dankbarkeit. Paris, die Stadt der Liebe, hatte mir nicht nur romantische Fantasien geschenkt, sondern die Liebe zum Augenblick, die Liebe zum detailreichen, lebendigen Leben. Ich stellte die leere Kaffeetasse beiseite. Ein letzter, tiefer Blick auf die vorbeiziehenden Passanten, das Geräusch des Verkehrs, das feine, unaufhörliche Summen der Stadt. Dann stand eine leichte Aufregung in der Luft, der Klang der spanischen Sprache in der Vorstellung.
Mit dem leisen Knistern der Zugtickets in Ihrer Tasche und dem warmen Gefühl der Sonne auf der Haut, erhoben Sie sich. Der Abschied war nur ein Au Revoir, denn ein Teil von mir blieb in der Jazzbar, andere Teile in der grünen Kiste eines Bouquinisten, im gedämpften Licht einer Weinbar.
Der Weg zum Bahnhof war nun nicht nur ein Weg, sondern eine Brücke: von der Eleganz von Gestern zum Abenteuer von Morgen.
 
Und weiter ging es gestern nach Barcelona...

Der Gare de Lyon, dieses majestätische Denkmal der Weltausstellung von 1900, empfing mich mit seiner prunkvollen Fassade und dem hoch aufragenden Uhrturm. Die Zeit, so spürte ich, wurde hier in einem anderen, feierlicheren Rhythmus gemessen. Unter der gusseisernen, wie eine Kathedrale wirkende Dachkonstruktion der Halle herrschte ein geschäftiges, aber merkwürdig geordnetes Chaos. Das gedämpfte Licht des Tages brach sich in den hochglanzpolierten Fliesen, auf denen die Eile der Reisenden widerhallte. Ich sah eilige Geschäftsleute, deren Anzüge beinahe mit dem Grau des Tages verschmolzen, junge Rucksacktouristen, die ihre Freiheit in sich trugen, und Familien, die Abschied nahmen, ihre Umarmungen wirkten wie kleine, stille Dramen.
Mein Blick fiel unweigerlich auf das Restaurant "Le Train Bleu", dessen opulenter Jugendstilprunk hinter den Bogenfenstern golden funkelte, eine Insel des zeitlosen Überflusses inmitten der Hektik. Es roch nach altem Stein, frisch gebrühtem Kaffee und einer Spur feiner, französischer Parfüms.
Am Gleis, wo der TGV bereitstand, war die Atmosphäre von gespannter Erwartung erfüllt. Die doppelstöckige, silberne Schlange aus Stahl wirkte elegant und kraftvoll zugleich. Die Anzeige bestätigte mein Ziel: Barcelona, Via Figueres.
Ich stieg ein und nahm auf dem Oberdeck Platz. Die Welt gehörte mir. Das Gefühl, über den Köpfen der Wartenden zu thronen, verlieh der Abreise eine besondere Erhabenheit.
Pünktlich glitten wir mit einem fast lautlosen Ruck los. Die Hektik des Bahnhofs zog sich zurück, wurde zu einem verschwommenen Gemälde. Zuerst die nüchternen Mauern der Pariser Vororte, die Graffiti-bedeckten Lärmschutzwände, dann ein kurzes, dunkles Rauschen, als der Zug in den Hochgeschwindigkeitsmodus schaltete.
Die ersten Stunden waren ein schneller Tanz mit der grünen, sanft gewellten Agrarlandschaft Zentralfrankreichs. Die Geschwindigkeit war so immens, dass die Felder und Baumgruppen zu kaleidoskopartigen Mustern verschmolzen. Die Welt draußen wurde zu einem Gemälde, das an impressionistische Gemälde mich erinnerte. Grauer Himmel drückte auf weite, braun-grüne Äcker, die von kerzengeraden Pappelreihen gesäumt wurden. Einzelne, steinerne Bauernhäuser huschten vorbei, als wären sie nur Gedankenblitze. Ich fühlte mich wie in einem Zeitraffer.
Als wir an Städten wie Valence und Nîmes vorbeizischten, bemerkte ich die subtile Veränderung der Landschaft. Sie wurde mediterraner. Die ersten knorrigen Olivenbäume und schlanken Zypressen tauchten auf. Die Farben wurden satter: ein tiefes Ocker der Erde, ein dunkleres, dichteres Grün. Die Sonne versuchte, den grauen Schleier zu durchbrechen, und tauchte die Szenerie für kurze Momente in ein weiches, goldgelbes Licht, eine Vorahnung des Südens.
Zwischen Sète und Narbonne erlebte ich den Höhepunkt, den ich vom Oberdeck aus besonders gut sehen konnte: das Mittelmeer. Für einen kostbaren Moment öffnete sich das Fenster zu dieser tiefdunklen, unendlichen Wasserfläche, deren Wellen unter dem trüben Himmel fast bleiern wirkten. Die Gischt schäumte gegen die Küstensteine, und die Weinberge des Languedoc-Roussillon reichten beinahe bis ans Ufer heran. Ich spürte die Nähe des Südens, die Verheißung des Lichtes.
Die Dämmerung begann, als der Zug bei Perpignan tiefer ins Hinterland fuhr und sich auf den Weg zu den Pyrenäen machte. Die Berge waren massiv, ihre grauen Flanken verschwanden im Dunst. Die Fahrt durch den Tunnel unter den Pyrenäen war eine mystische Passage – ein Moment der Dunkelheit, der die französische in die spanische Welt trennte.
Als wir aus dem Tunnel kamen, war es bereits tiefer Abend. Die letzte Etappe, durch Figueres und Girona, war eine Fahrt durch die dunkelste katalanische Nacht. Durch das Fenster sah ich nur noch die huschenden Lichter kleiner Dörfer, das rote Aufblitzen von Windrädern auf Bergkuppen und die spiegelnden Lichter von Autobahnen. Die Geschwindigkeit war nun ein gleichmäßiges Rauschen, das mich in eine entspannte Trance versetzte.
Der Zug kommt mit einem kaum spürbaren, tiefen Seufzen in Barcelona zum Stehen. Die Klimaanlage verstummt, und augenblicklich dringt die warme, nächtliche Luft Kataloniens in den Wagen. Der Bahnhof Barcelona Sants ist keine Kathedrale wie der Gare de Lyon, sondern ein funktionales, weitläufiges Labyrinth, dessen Gleisanlagen unter der Erde liegen. Ich war angekommen. Der Schleier des Pariser Wetters hatte sich gelüftet, und obwohl es Nacht war, empfing mich Barcelona mit dem warmen, pulsierenden Glanz seiner katalanischen Lichter. Eine neue Stadt, ein neues Gefühl, wartete. Unter mir ist das Gleis nicht mehr die kühle Stahlkonstruktion des Nordens, sondern fester, spanischer Boden. Als ich die schmalen Stufen des Oberdecks hinabsteige und durch die Zugtür trete, empfängt mich eine andere Welt. Es ist keine laute, schreiende Betriebsamkeit, sondern ein tiefes, vibrierendes Grundrauschen der südlichen Nacht. Die Luft ist mild, beinahe zärtlich, und trägt sofort Gerüche mit sich, die in Paris fehlten: eine Spur von salziger Meeresbrise, vielleicht der Duft von späten Jasminblüten und das fettige, verlockende Aroma von frisch frittiertem Essen aus den Bahnhofs-Tapasbars.
Die Bahnsteige sind hell beleuchtet, aber das Licht wirkt wärmer als in Frankreich, leicht gelblich. Die Lautsprecherstimme, die die Ankunft auf Katalanisch und Spanisch verkündet, klingt melodiös und sanft. Ich sehe Gesichter, die weicher, offener wirken als jene, die ich in Paris zurückließ. Reisende umarmen sich mit einer ungezwungenen Herzlichkeit, und das Rollen der Koffer vermischt sich mit dem leisen, beschwingten Gemurmel der Wiedersehensfreude.
Ich folge dem Strom der müden, aber aufgeregten Reisenden. Dort steht sie, die letzte Hürde, die mich von der Freiheit Barcelonas trennt. Ein unspektakulärer, aber unumgänglicher Gepäck-Scanner. Ich hieve meinen Rucksack auf das schwarze Band. Der Moment ist kurz, klinisch. Ein gelangweilt wirkender Mitarbeiter des Bahn-Sicherheitspersonals nickt mir mit einer beiläufigen Handbewegung zu. Der dunkle Tunnel des Scanners schluckt mein Gepäck, beleuchtet von einem unsichtbaren, kalten Licht. Für diesen kurzen Augenblick fühlt es sich an, als würde die Maschine meine Reise, meine Gedanken und meine Absichten durchleuchten. Die Sekunden dehnen sich. Ein leises, elektronisches Surren begleitet den Prozess. Dann, mit einem unspektakulären Klack, taucht mein Rucksack auf der anderen Seite wieder auf. Ich bin entlassen. Ich habe die Schwelle überschritten. Ich bin nicht mehr nur ein Passagier auf der Durchreise, ich bin in Barcelona. Ich steige die Rolltreppe hinauf in die Haupthalle. Der Raum öffnet sich, dominiert von Informationsschaltern, Reisebüros und der hellen, ununterbrochenen Beleuchtung. Aber meine Augen sind auf den Ausgang gerichtet. Ich trete ins Freie und spüre, wie die Mittelmeernacht mich umarmt. Der Himmel über mir ist klar, dunkel, und irgendwo hinter den Dächern höre ich das schwache Echo von Verkehr und urbaner Musik. Der Schweiß und die Anspannung der Reise weichen einem Gefühl der Ankunft.
Ich atme tief ein. Es riecht nach Salz und Freiheit.
 
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