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Die Nelkenrevolution und die Musik

kailew

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Am 25. April 1974 beendete die Nelkenrevolution die 48-jährige Gewaltherrschaft von Diktator Antonio Salazar. Die jubelnde Menge steckte Nelken in die Gewehrläufe von Soldaten. Portugal feiert die Nelkenrevolution noch bis 2026, dann steht das nächste Jubiläum an: Das Inkrafttreten der Verfassung sowie die erste demokratische Parlamentswahl jähren sich zum 50. Mal. Für die unblutige Revolution spielte Musik eine wichtige Rolle. Beim NDR gibt es dazu einen Beitrag.

 
Zum Weiterhören gibt's hier kurze Artikel zu 50 Songs der Nelkenrevolution (zwei fehlen, heute, noch) ... zum Hören muss man dann ein bisschen stöbern, bei Spotify findet sich die ein oder andere unvollständige Playlist, weil doch einige der Lieder es nicht in dieses Internet geschafft haben →
 
Entzückend, dass in dem Feature drauf hingewiesen wird, sonst glaubt mir ja niemand, und an dem Hinweis kann man in den Medien ganz gut Beiträge erkennen, die wenigsten minimal Sachkenntnis aufweisen: »Grandola« war nicht verboten, und als Symbol für den Start des Putsches zweite Wahl - geplant war eigentlich "Venham mais Cinco" als Signal für den Beginn der Operation »Zeitenwende / Viragem Histórica«. Am Montag vor dem 25. April 1974 stellte sich allerdings heraus, dass das Lied erstens verboten und zweitens die Schallplatte beim Rádio Renascença auch gar nicht vorhanden war. Almada Contreira entschied sich deswegen für »Grândola, Vila Morena« als Zeichen für die Erhebung der »Bewegung der Streitkräfte«.
Ich find's fast schon symbolisch und typisch für das, was dann kam - weil in den nächsten Monaten auch selten passierte, was geplant war: Wo angeblich »historische Notwendigkeit« - Lieblingsphrase der Kommunisten, für die die Zeit immer nicht reif genug war für den Aufstand - regiert, herrschte nach dem 25. April - »O dia inicial inteiro e limpo«, wie ihn Sophia de Mello Breyner Andresen genannt hat - König Zufall.

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Tiririri poriririri
Tiririri barabudidaié
Tiririri poriririri
Tiririri barabudidaié
Tiiiiiiii darabudidaié
Tiiiiiiii darabuididaié
Tiriritiri butiriritiri
Tiririti darabudidaié
Tiririrriri buriririrriri
Tiriririri parapuridaié
 
Zuletzt bearbeitet:
»Venham mais Cinco« geht auf Deutsch in etwa (!!!) so (und schon seltsam, dass das plakativ-rustikale Grandola nicht verboten wurde, aber dieses verklausulierte Lied schon):

# Venham mais Cinco

Venham mais cinco
Duma assentada
Que eu pago já
Do branco ou tinto
Se o velho estica
Eu fico por cá

Fünf kommen noch
In einem Zug / auf einmal [»auf einen Streich«]
Ich bezahle schon
Vom Weißen oder Roten
Wenn der Alte sich streckt [stirbt]
Bleibe ich hier

Se tem má pinta
Dá-lhe um apito [→ Chor]
E põe-no a andar
De espada à cinta
Já crê que é rei
Daquém e Dalém Mar

Wenn er schlecht aussieht
Gib ihm einen Pfiff
Und schick ihn weg
Mit einem Schwert im Gurt
Glaubt er gleich König zu sein
Diesseits und jenseits des Meeres

Não me obriguem
A vir para a rua
Gritar
Que é já tempo
D'embalar a trouxa [trouxa = Dussel]
E zarpar [maritim]

Zwingt mich nicht
Auf die Straße zu gehen
Und zu schreien [rufen]
Dass es [jetzt] an der Zeit ist
Das Bündel zu packen
Und auszulaufen/abzuhauen

A gente ajuda
Havemos de ser mais
Eu bem sei
Mas há quem queira
Deitar abaixo
O que eu levantei

Wir helfen
Wir werden mehr sein
Das weiß ich sicher
Aber es gibt jemanden, der will
niederreißen
Was ich aufgebaut habe

A bucha é dura
Mais dura é a razão
Que a sustem
Só nesta rusga
Não há lugar
Pr'ós filhos da mãe

Der Happen [? im Sinne »luta«, harte Nuss?] ist hart
Härter ist die Vernunft
Die ihn stützt
Nur in diesem Überfall / Razzia
Ist kein Platz
Für die Hurensöhne

Bem me diziam
Bem me avisavam
Como era a lei
Na minha terra
Quem trepa
No coqueiro
É o rei

Sie haben es mir gesagt
Sie haben mich gewarnt
Wie das Gesetz ist
In meinem Land
Wer klettert
auf die Kokospalme
Ist der König
 
Und noch ein (vor der Revolution sehr populäres) Lied - das, finde ich, immer noch voller umstürzender Energie ist, mehr Punk als Fado oder Fado als Punk:

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Mesmo na noite mais triste
em tempo de servidão
há sempre alguém que resiste
há sempre alguém que diz não.

(Kurze Assoziation, die ich nicht loswerde, provinziell ist an dem Lied nichts: das Lied ist von 1964, in dem Jahr ist auch erschienen »Der eindimensionale Mensch« von Herbert Marcuse, der dort auf den letzten Seiten das Motiv der »großen Verweigerung« durchspielt ... und auch aus diesem Jahr: Klaus Heinrich: »Die Schwierigkeit Nein zu sagen«. Lauter Ermunterungen zur Desidentifikation.)

Der Liedtext ist ein Ausschnitt aus einem viel längeren Gedicht von Manuel Alegre:

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25041974.jpg
 
Ich lass das mal hier, ein bisschen Abfall vom Tagwerk ... keine Ahnung, ob das alle immer schon gewusst haben, nur ich nicht.

Bei Grândola, Vila Morena hört man bekanntlich zu Beginn Schritte, die dann dem gesamten rein vokal dargebotenen Lied den Takt vorgeben. Man hat das Lied als Signal der Revolution im Ohr und stellt sich vor, dass da Soldaten marschieren, vielleicht gerade die Kasernen verlassen, sich auf den Weg in die Hauptstadt machen, um die faschistische Regierung zu stürzen. Gerade aus diesem Grund hätte man das Lied gewählt, meint Otelo Saraiva de Carvalho in einem Interview.

Nur war das gar nicht so vorgesehen, als das Lied 1971 aufgenommen wurden.

1964 wurde Afonso eingeladen, bei einem Konzert in Grândola zu singen, bei dem auch Carlos Paredes auftrat, veranstaltet von der Sociedade Musical de Fraternidade Operária Grandolense – »Música Velha« (→ ).

Die Sociedade Musical Fraternidade Operária Grandolense wurde am 1. Mai 1912 von einer Gruppe von Arbeitern der Korkindustrie gegründet. Der erste Sitz befand sich in der Rua Almirante Reis und später in einem Haus neben der Kirche São Pedro. Ab der zweiten Hälfte der 1930er Jahre bezog sie das Gebäude, in dem das Krankenhaus Misericórdia untergebracht war. In kultureller Hinsicht erreichte der Kulturverein in den 1950er und 1960er Jahren mit der Gründung einer Bibliothek, einer Theatergruppe und eines Filmclubs sowie der Organisation von Kolloquien, Konferenzen und Ausstellungen einen seiner Höhepunkte.

Fraternidade Operária, Arbeiterbrüderschaft:

»Die 1872 gegründete Bewegung, die sich für die Interessen der Arbeiterklasse einsetzt und von Bakunins Arbeiter-Internationale inspiriert ist. Sie wird mit der Arbeit im Bereich der öffentlichen Bildung, verschiedenen Zeitschriften und der Organisation der ersten Feierlichkeiten zum Tag der Arbeit in Verbindung gebracht. Im Jahr 1874 wurde sie in Arbeitervereinigung der portugiesischen Region umbenannt und spielte eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Sozialismus in Portugal und war der Ursprung der ersten sozialistischen Partei. Zu den wichtigen Namen der Arbeiterbrüderschaft gehörten José Fontana, Azedo Gneco und Antero de Quental.« (→ )

Das sollte man im Ohr haben, wenn man »Terra da Fraternidade« hört.

(Hier müsste man auch an die Bandas Filarmonicas erinnern, die es heute in vielen Orten noch gibt, »Musikvereine«, eine Form der »Coletividade« → | → )

Afonso war von der Brüderlichkeit, der in Grândola erfahrenen Solidarität persönlich so berührt, dass er nach dem Konzert 1964 wie zum Dank ein kurzes Gedicht verfasste, vielleicht hatte er das Lied auch schon im Ohr.

Dass der Text zuerst sehr persönlich gemeint war, sieht man daran, dass eine Strophe schließlich gestrichen wurde, in der er die »Höflichkeit« der Menschen dieser kleinen Stadt besingt, Grândola sei »Capital da Cortesia« – der »feinen und zivilisierten Art des Umgangs«, die »den Handlungen und Gesten einer anderen Person Vorrang einräumt und den richtigen Moment abwartet, um seine Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen« (→ ).

Capital da cortesia
Não se teme de oferecer
Quem for a Grândola um dia
Muita coisa há-de trazer

1971 wurde das Lied schließlich in Frankreich – im Château d’Hérouville (→ ) – für das Album »Cantigas do Maio« aufgenommen. Das Bild, das zeigt, wie die Schritte ins Werk gesetzt wurden, ist relativ bekannt: José Afonso, José Mario Branco und Francisco Fanhais, untergehakt, auf einem Gartenweg des Studios, um drei Uhr morgens, damit keine Geräusche die Aufnahme stören (→ ).

Das Lied wurde ohne musikalische Begleitung aufgenommen; hören, so war die Idee, sollte man, so erinnert sich José Mario Branco, die langsamen Schritte der Arbeiter, die müde von der Feldarbeit (a monda) heimkommen, erschöpftes Schlürfen, keine Marschieren: »im Viervierteltakt wird abwechselnd ein Fuß angehoben und landet mit dem nächsten Schlag auf dem Boden, die Bewegung des anderen Fußes schließt den Takt ab.«

Zwischen Produktion und Rezeption liegen dann allerdings Welten:

»Was sich für uns wie langsame, schleppende Schritte anhörte, klang für die Leute doppelt so schnell, als ob der Moment des Schleppens des Fußes ein weiterer Schritt wäre. Das Geräusch des schleppenden Schrittes ist von dem des landenden/auftretenden Fußes nicht zu unterscheiden.« (José Mario Branco)

Bei Wikipedia steht, dass es ein »berühmtes portugiesisches Kampflied« sei. Mag sein, vielleicht sogar ein Kampflied. Aber: eines, dass freundschaftlich und zärtlich daherkommt, fast privat, wenn man den Hintergrund kennt, eine Erinnerung an gelebte Solidarität (»em cada esquina um amigo«). Und wenn man jetzt noch den Anfang, die Schritte mit offenen Ohren hört, dann müsste man das Müde hören, das Zerbrechliche ... (Der Fortschritt marschiert hier nicht – und wenig dürfte auch der portugiesischen Revolution ferner gewesen sein, als sozialistischer Prolet- und Arbeitskult.)

Ob das Volk 1964 tatsächlich das Sagen hatte in der Stadt (O povo é quem mais ordena / Dentro de ti, ó cidade) – und nicht nur in der politischen Gemeinschaft der »Fraternidade«? Eher nicht; ein Foto aus dem Jahr zeigt, wie sich die Leute drängeln beim Besuch des Präsidenten Américo Thomaz zur feierlichen Eröffnung der neuen Landwirtschaftsschule.
 
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