AW: Was ist das Ökodorf Tamera?
Da dieses Forum als einer der obersten Links zum Thema "Tamera" auftritt, würde ich hier gerne die gehaltslosen Spekulationen und ehrverletzenden Vorwürfe mal mit einem weiteren Erlebnisbericht durchbrechen.
Die letzten Wochen war ich zu Besuch in Tamera - nächstes Jahr werde ich wohl nochmals in die portugiesische Pampa hinunterfahren. Deshalb gerade vorneweg: Meine Meinung von dem Projekt dort ist durchaus positiv - negative Aspekte gibt es natürlich auch.
Die Diskussion um Mühl ist irrelevant für das Projekt Tamera - wie man den über zwei Ecken in die Diskussion einbringen kann, verstehe ich bereits aus logischen Gründen nicht. Ich verurteile ja auch nicht die Projekte des Bruders eines Kinderschänders.
Die Gründungsväter Duhm + Lichtenfels sind mit ihren Werken noch in Tamera vertreten und viele ihrer Ideen werden dort umgesetzt und ihre Bücher als grobe Richtlinien verstanden. Wer jedoch einige Blicke da rein geworfen hat, wird erkennen, dass sie durchaus nicht schädlich sind. Die esoterische Richtung, die in Tamera eingeschlagen wird, findet sich irgendwo zwischen Pantheismus und christlich/gnostischer Mystik. Kurz gefasst: Sei lieb zu deinen Mitmenschen, Gott steckt in jedem, ob Stein, Pflanze, Tier, Mensch oder Luft. Gefährlich ist an dieser Einstellung wohl nichts. Auch finden sich in Tamera ebenso Christen, Muslime, Juden, ... man muss sich auch nicht zwingend mit dieser Überzeugung anfreunden, könnte jedoch leicht davon genervt werden, wenn man wirklich keine Gottesvorstellung in sich trägt. Jedoch unterstützen auch nicht alle Bewohner/Besucher eben jene Einstellung.
Tierquälerei (egal welcher Grösse) und Fleisch ist natürlich verboten. Das Essen ist Vegan - gesünder als dort wirst du dich kaum ernähren können.
In regelmässigen Foren/Diskussionen/Vorträgen wird an allem Themen gearbeitet, die nach den dort gängigen Vorstellungen zu Frieden nötig sind. Das beinhaltet Permakultur (Landwirtschaft nach "natürlicher" Ordnung), Konfliktbehandlung (mit grösstmöglicher Transparenz/Ehrlichkeit), Solarenergie (auf zwei verschiedenen Testfeldern) und eben auch die Liebe.
In letzterem Bereich wird die "freie Liebe" von vielen in Tamera bevorzugt. Beziehungsformen finden sich dort jedoch von strenger Monogamie bis zu losem "Lasterleben" eigentlich alles. Nicht toleriert wird jedoch Besitzdenken. Wer glaubt, jemanden dort "für sich" beanspruchen zu können oder ihm gar Vorschriften zu machen, darf sich auf lange Diskussionen gefasst machen. Eifersucht wird ebenfalls oft thematisiert und nicht als angeboren betrachtet, sondern als Resultat von vorherrschendem Besitzdenken. Es ist also durchaus beobachtbar, das eine Frau z.B. am einen Abend den einen Mann küsst, am nächsten Tag einen anderen und am dritten Tag unterhalten sich die beiden Männer gemeinsam bei einem Tee darüber. Zwang existiert hierbei jedoch keiner - gegenseitiger Konsens ist höchste Regel.
In welchen dieser Bereiche man sich nun vertiefen will, bleibt ebenfalls dir überlassen. Um das Gemeinschaftsleben wirst du jedoch nicht herumkommen. Gewisse Leute, die ich getroffen habe, waren mit ihrer monogamen Beziehung dort, um etwas über Solarenergie zu lernen (die eine Küche für 50 Leute wird ausnahmelos mit Sonnenlicht betrieben!), andere kamen um ihre Erfahrungen mit Polyamorie (Liebe zu mehreren Menschen) zu vertiefen und sich in emotionaler
Arbeit auszutauschen. Jedem das Seine.
Schlussendlich könnte man das Ganze trotzdem trivial als "Bande von Hippies in einem grossen Bauernhof" betrachten. Tut man dies, könnte man aber mit Respekt anmerken, dass sie immerhin eine karge Landschaft in blühendes Grün mit selbst-ausgehobenen Seen verwandelt haben.
Ich habe einen 40-jährigen LKW-Fahrer dort getroffen, der es als fantastisches kurzes Entspannen betrachtete. Einen Alt-Hippie, der das ganze zum Kotzen fand, Strassenmusiker aus Brasilien, die das Fest ihres Lebens hatten und einen Ex-Manager, der eigentlich nur wegen der Solarenergie kam, dann aber doch das Liebesmodell extrem begeisternd fand. Kurzum: Viele bunte Gesichter, viele lieben es dort, einige andere wollen nach kürzester Zeit wieder verschwinden.
Da die Öffentlichkeitsarbeit wohl über den esoterischen Ast läuft, wirkt es gewiss schnell nach einer Sekte. Das ist jedoch kaum der Fall. Bezahlt wird, damit das Projekt überleben kann (auch die fixen Bewohner zahlen "Miete"). Allgemein wird dort Friedensforschung und Gemeinschaftsarbeit betrieben - natürlich ist das nicht jedermann's Ding, doch gleich mit "Kinderschänder" um sich zu werfen, ist respektlos. Solchen Menschen sollte man die Teilnahme an Diskussionen wie der hier verbieten - vor allem auch, da man sich nur schwer ein Bild zu dem Projekt machen kann. Bevor ich nach Tamera ging, hatte ich von verschiedensten Menschen davon gehört - jedoch konnte ich mir kaum klar ausmalen, wie es denn nun da aussehen würde. Entweder es gefällt, oder es gefällt nicht. Irgendwas zwischen "Drop City", ökologischer Landwirtschaft und harter
Arbeit..
Ich hoffe, ich konnte euch meine Sicht der Angelegenheit ein wenig schildern. Ich bin 22ig, würde von denen die hier "Kinderschänder" rufen wohl als "Hippie" betrachtet werden und habe in Tamera sehr sehr vieles über zwischenmenschlichen Umgang gelernt