Auf dem Portugiesischen Jakobsweg (Teil 6)
Morgens regnet es in Strömen. Ich warte deshalb und nutze eine kurze Regenunter-brechung, um in ein Café zu sprinten und erst einmal zu frühstücken. Dabei be-schließe ich, auf der Nationalstraße N-110 so lange weiterzulaufen, bis es nicht mehr regnet. Bei strömendem Regen und LKW-Verkehr auf einer schmalen Landstraße zu laufen ist recht mutig. Kilometer um Kilometer kämpfe ich mich nach Süden, habe mein rotes Blinklicht eingeschaltet und beobachte den mir entgegenkommenden Ver-kehr. Wann immer ein Autofahrer eine Lenkbewegung macht und Abstand zu mir herstellt, bedanke ich mich freundlich.
Am Nachmittag habe ich eine blendende Idee: Neben einer einsamen Bushaltestelle betrete ich ein ebenso einsames Café. Ich frage nach, ob ein Bus nach Tomar fahren würde, und wenn ja, wann. Die Antwort kommt prompt: Ein Bus nach Tomar kommt erst in drei Stunden. So entscheide ich mich, einfach weiterzulaufen und an einer der nächsten Bushaltestellen in etwas drei Stunden den Bus abzuwarten. Also marschiere ich los. Nach etwa einer Stunde nähert sich von hinten ein Kleinbus, bleibt stehen und ein Hippie springt heraus: „You need a lift?“ Ich zögere nicht lange und springe in den Bus mit englischem Kennzeichen. Der Fahrer erklärt, er habe mich in diesem Café nach dem Bus fragen hören, und weil es eine riesige Straßenbaustelle kurz vor Tomar geben würde, sei es effektiver, mit ihm im Kleinbus zu fahren. In der Tat sehe ich etwas später diese Baustelle, an der man auf Pilger keine Rücksicht genommen hat, denn für Fußgänger gibt es dort kein Durchkommen.
Kaum bin ich in Tomar angekommen, klart das Wetter auf, der Regen endet und die Sonne scheint, als wäre sie schon den ganzen Tag am Scheinen. Die Stadt ist ein kleines Juwel, die stolze Burg thront auf dem Berg und das Hotel ist seine Sterne wert. Ich werde hierher wieder einmal kommen. Weil das Fernsehen aber nur regne-rische Aussichten für den kommenden Tag bereit hält, überlege ich, ob ich nicht ei-nen Pausentag einlegen sollte. Ich mache diese Entscheidung vom morgigen Wetter abhängig.
Unterwegs sind meine ständigen Wegbegleiter ausgeblieben, sie haben sich alle bei diesem Regen verkrochen. Keine Eidechse, die mich neugierig ein paar Schritte be-gleitet. Keine Grashüpfer. Sogar die Kettenhunde haben sich verkrochen und lassen mich kommentarlos vorbeiziehen. Auch die Ameisen, die fleißig in den Asphaltrinnen ihr Tagespensum erledigen wollen, haben einen Ruhetag eingelegt.
Wie üblich regnet es die Nacht hindurch und auch noch am Morgen. Meine Schuhe habe ich mit Zeitungspapier ausgestopft, aber gänzlich trocken sind sie noch nicht. Gegen 10:00 Uhr laufe ich bei Nieselregen los, verlasse das Tal und darf wieder ein-mal eine fast unmenschliche Steigung erklimmen. Etwas später zwängt sich die Son-ne durch die Wolken. Heute folge ich ausschließlich meinem Navigationssystem und bereue es nicht, denn ich habe eine leicht hügelige aber abwechslungsreiche Strecke vor mir. Wegen des Regens sind einige Abschnitte recht matschig und glitschig, aber dann folgt ein steiniger Abschnitt.
Auf den abgeernteten Flächen steht das Regenwasser und Wolken und Sonne spie-geln sich darin. Ein Jäger kommt mir entgegen und grüßt freundlich. Auf meine Fra-ge, auf welches Wild er denn aus ist, bedauert er die Situation und meint lapidar, die Kaninchen haben sich bei diesem Wetter im Bau verkrochen und er gehe wohl oder übel heute leer aus. In einem winzigen Geschäft erstehe ich einen Kaffee, ein Crois-sant und ein paar Weintrauben. Als ich nach dieser kleinen Pause weitermarschiere, verspüre ich mehr und mehr ein gewisses Jucken am Rücken. Ich kann mir nicht er-klären, was das wohl sein kann. Als ich mir dann aber den Schweiß von der Stirne wische, stelle ich dort richtige Beulen fest. Irgendwann kann ich mir im Außenspiegel eines Automobils mein Gesicht betrachten und muß schon darüber lachen. Schnell schlucke ich eine Calcium Tablette und gehe weiter.
Die letzten Kilometer muß ich auf einer vielbefahrenen Landstraße zurücklegen. Der Seitenstreifen besteht aus riesigen Steinplatten und das Laufen darauf wird mehr und mehr zur Qual. Ich bin der Meinung, ich habe meine Muskel und Gelenke nunmehr genügend trainiert, aber dieser Marsch fordert meine Extremitäten erneut. Hinzu kommt, daß ich immer ein wachsames Auge auf den Gegenverkehr haben muß. Schließlich gibt es zwei Gruppen von höchst gefährlichen, portugiesischen Autofah-rern: Das sind zum einen Frauen am Steuer; sie ändern die Lenkradstellung um kei-nen Millimeter, sie rasen knapp an mir vorbei. Aber die gefährlichste Gruppe sind Frauen am Steuer mit dem Handy am Ohr; sie streifen mit dem Außenspiegel meinen rechten Ellenbogen. Da hilft nur eine Wasserflasche, die ich seitlich von mir in den Verkehr halte.
Langsam nähere ich mich der berühmten Pferdestadt Portugals, Golegã. Ich betrete das Hotel und werde von der Rezeptionistin entsetzt angeschaut. Nein, nicht wegen meiner verschlammten Schuhe, sondern wegen meiner Beulen im Gesicht. Nachdem ich aber glaubhaft versichert habe, es sei wirklich nicht ansteckend, versorgt sie mich mit wundervoll riechenden Salben, die auch meinen zusätzlichen Sonnenbrand lin-dern.
Wo aber sind denn die Pferde? Nördlich der Stadt habe ich gestern kein einziges Pferd entdecken können. Und auch südliche der Stadt scheint es keine zu geben. Zwischendurch passiere ich zwar große, stattliche Einfahrten zu Gutshöfen, aber Pferde gibt es nur auf den Willkommensschildern vor der Stadt. Ich laufe weiter nach Süden und bleibe erst einmal auf der Nationalstraße N-365 und freue mich an nur vereinzelten Verkehrsteilnehmern. Es ist wieder sonnig und trocken. Ich verlasse mich auf mein Navigationssystem und schlage eine Abkürzungsroute ein. An einem verlassenen Bauernhof sitze ich auf der brüchigen Steinmauer und pausiere. Ein Au-tomobil fährt von links nach rechts vorbei. Nach einiger Zeit kommt dieses Fahrzeug von rechts, bleibt stehen und ein junges Paar stellt die inzwischen übliche Frage, ob ich nach Santiago wolle. Als ich verneine lachen wir gemeinsam und die Beiden fah-ren wieder nach rechts aus meinem Blickfeld.
Die beiden Männer sehen wild aus. Sie entladen einen zerbeulten Pickup und schauen auf, als ich bei ihnen stehenbleibe. Ich frage sie, ob das der richtige Weg nach Santarém sei, was sie bejahen. Meine Befürchtung, es ginge sehr steil hoch in die Stadt, quittieren sie mit einem breiten Lachen. Ich verabschiede mich und schreite weiter. Links und rechts der Straße breiten sich großflächige Felder aus. Ich kann mir die riesigen Beregnungsanlagen aus der Nähe betrachten, weil die Felder schon ab-geerntet sind und ich eine weite Sicht habe.
Die Stadt Santarém ist gut zu erkennen, wie sie auf diesem Felsvorsprung thront. Nach einer Stunde sind schon die einzelnen Gebäude zu erkennen. Nach einer weite-ren Stunde meine ich die Serpentinen hinauf in die Stadt deutlich ausmachen zu können. Da hält ein zerbeulter Pickup neben mir und die beiden Gestalten bieten mir lachend an, mir die Steigungen zu ersparen. Ebenso lachend bedanke ich mich, werfe meinen Rucksack auf die Ladefläche und klettere in das Fahrzeug. Sie fahren mich die steilen Straßen hinauf ins Zentrum der Stadt und laden mich vor dem Hotel ab.