Unverhofft in Lissabon... Und glücklich von Sintra zurück XIII
Portugiesische Jugendliche verhalten sich nicht wesentlich anders als deutsche. Eine erfreuliche Feststellung. Und fast noch mehr die Aussage (nachdem man reichlich gegluckst und sich gegenseitig verschwörerisch in die Seite geboxt hat), dass es natürlich noch weitere Automaten gibt. Funktionsfähige! Man bringt uns hin (nicht etwa, dass die Alten weiter herumirren!) und hilft uns, dem Apparat die Tickets zu entlocken. Na, man konnte die Steine förmlich plumpsen hören, die mir vom Herzen fielen. Peter angelt sich eine Zigarette aus der Packung und spendet letztere dem begeisterten Jungvolk.
Geduldig laufen wir auf dem leeren, von milchigen Lampen nur matt beleuchteten Bahnsteig hin und her. Zeit spielt nun keine Rolle mehr. Ein wenig gehen meine Gedanken zurück zu all' dem, was ich heute gesehen und auch ein wenig entdeckt habe. In Bereichen, die nicht überlaufen waren, sondern still, fast verlassen wirkend. Es war insgesamt gesehen ein lohnenswerter Tag und ich habe die Hoffnung, dass vielleicht noch so einer folgen könnte. Vielleicht sogar zwei? Man sollte nicht gleich übermütig werden...
Das "Pflichtprogramm" fehlt ja noch. Die Stadt Lissabon an sich. Auf meiner Wunschliste steht so einiges für diesen Bereich. Wahrscheinlich das übliche Besichtigungsprogramm aller Touristen. Aber halt! Da war doch was?!
Ich wollte doch eine Reisende sein. Über Brücken gehen, von der Vergangenheit in die Gegenwart. Oder umgekehrt. Keine glatten Fassaden sehen. Nichts kaputt saniertes. Blank geputztes. Verfall will ich sehen. Lost places erobern. Vor allem den typischen Touristen entkommen.
Der Held nickt. Ja, genau
das möchte er ebenfalls! Aber auch auf Flohmärkte gehen, durch Läden bummeln. Das macht es schwierig. Die Alfama interessiert uns beide (nachdem ich genug davon erzählt habe). Ansonsten wird es problematisch. Kompromisse stehen an. Meinerseits. Wer zum Reiseführer wird, kann kaum eigene Wünsche einbringen. Ich verstehe alle Beweggründe sofort. Wer nie reisen und dementsprechend keine Erfahrungen sammeln konnte, der weiß sich nicht gut zu helfen. In einer Großstadt, deren Sprache man beim besten Willen nicht mal eben so "erraten" kann. Ich bin Mutter und war immer mit meinen Kids allein unterwegs. Die ich auch nicht an irgendeiner senegalesischen oder marokkanischen Ecke "abgekippt" hätte...
Vorerst sitzen wir um Zug der Linie Sintra-Rossio, von der es im Internet heißt:
"Die Strecke verläuft durch unaufföllige Wohnsiedlungen im Umland Lissabons, es gibt dort nicht viel zu sehen. In diesen Siedlungen leben größtenteils sozial benachteiligte Menschen, mitunter geht es dort sehr rau zu. Benutzen sie ihren gesunden Menschenverstand. Die Fahrt mit dem Zug selber gilt als sicher. Spät abends sollte sie sich aber in die Nähe anderer Reisender setzen und von dubiosen Menschen fernhalten. Am Besten lassen sie Wertgegenstände in ihrer Tasche." Würde man in Berlin, New York oder London auch so halten. Peripherien sind eben oft "speziell", das kann überall so sein.
Wir schauen müde aus dem Fenster, einfach nur froh, endlich sitzen zu können. Der Zug ist fast leer und entsprechend ruhig. Am Bahnhof
Rossio treffen wir auf die übliche Athmosphäre einer Stadt, die später schlafen geht als andere. Zudem es nicht kalt ist. Doch zwei Probleme gibt es noch: Der Held möchte dringend Zigaretten kaufen, da er seine ja verschenkt hat. Und die Heldin soll wie ein Trüffelschwein mitten durch die Baixa den Weg nach Belém erschnüffeln. Ein geöffneter Kiosk ist rasch entdeckt, obwohl es mittlerweile längst nach 21 Uhr ist. Die Frage nach dem Tejo hingegen scheitert. Peter's Brandenburger Deutsch versteht keiner, obwohl er einige Passanten anspricht. Während ich erschöpft auf dem Brunnenrand "hänge".
Dabei geht mir auf, wie sich Wasser verhält. Damit haben wir des Rätsels Lösung! Ich lotse uns immer weiter nach unten, denn oben kann ein Fluß kaum sein. Manchmal ist man aber auch wie mit Brettern vernagelt! Erleichtert finden wir uns am Tejo wieder. Und der Blick auf die Brücke "Ponte 25 de Abril" weist uns den Weg gen Belém. Still ist sie an diesem späten Abend und behält ihr Geheimnis noch für sich. Trotzdem scheint sie mir zuzublinzeln. Oder sind es nur Reflektionen des Wassers, in dem sich die Lichter der Stadt spiegeln? Mehrfach noch schaue ich mich nach ihr um. Und sie mir nach. "Bis bald", scheint sie zu flüstern, "wenn du zu mir kommen wirst, ganz unverhofft..."
An diesem Abend sicher nicht mehr. Wir (und unsere Beine) atmen auf, als wir das vertraute Schild entdecken:
Wir sind so froh! Obwohl es für diese Jahres- und Uhrzeit noch angenehm warm ist:
Gegen 23 Uhr schließen wir endlich die Haustür unseres kleinen Häuschens auf, essen und trinken stehend etwas und beschränken uns auf eine Katzenwäsche. Der Große ist fast schon eingedämmert, da lärmt es im Gässchen. "Eins!" sagen wir wie aus einem Mund. "Zwei!" sage ich eine Stunde später allein, dem sonoren Schnarchton neben mir angepasst. Dann dämmere ich wohl auch weg...
Dafür ist der Held am frühen Morgen dran, mit: "Drei!" Er klettert vorsichtig aus dem Bett.
Draußen warten die orangefarben gewandeten Kumpels. Gut dass die Zigarettenschachtel voll ist!
Unverhofft in Lissabon... Saudade
"Wann waren wir eigentlich in Lissabon?" fragt der Held vorhin. Er erinnert sich kaum an unsere Tage dort. An einzelne Fotos ja. Aber insgesamt? Seine Speicherkarte liegt in irgendeiner Schublade der Kommode unter dem Fernseher.
Meine ist in meinem Kopf. Und seit ich mir für das Forum die Bilder dazu angeschaut habe, ist das Gefühl mit Macht da. Saudade. Einfach aus der Kiste gesprungen, wie früher der Kasper. Der lachte wenigstens. Aber ich bin traurig. Warum? Durch hunderte wieder neu entdeckter Fotos klicke ich mich. Lächle. Schweige. Kämpfe mit den Tränen.
Warum? Weil es mir dort, in Lissabon, vielleicht klar wurde. Was? Alles. Was jetzt großspurig klingen mag. Aber ich begriff, was die Zukunft mir bringen würde. Und heute muss ich mir eingestehen: Es trat ein, wie damals, in Portugal, befürchtet.
Von Bild zu Bild klicke ich mich zur Zeit. Am Abend mir schon den nächsten Reisetag anschauend. Was ich damals nicht konnte. Denn das Leben spielt immer jetzt. In genau in
diesem Augenblick. Manchmal haben wir einen gewissen Einfluß darauf. Meistens aber nicht. Denn wir werfen Karten auf den Spieltisch. Und das Leben legt seine darüber. Oder daneben.
Mal verliert man, mal gewinnt der Andere. Das nennt man dann eine Pechsträhne. Gute Tage gleichen aus. Minus. Plus. Am Ende stimmt es. Oder eben nicht...
Wenn ich morgen schreiben kann, werde ich/werden wir am Tejo sein. Zum allerersten Mal am hellerlichten Tag. So viel anderes gab es zu sehen. Vorher. Nun stehe ich am Ufer. Am vorletzten Tag. Denn fast einen ganzen werde ich noch verlieren. Gut, dass ich es nicht weiß...
Inmitten vieler Touristen versuche ich Motive zu finden. Mich. Etwas was mich berührt, beeindruckt , mich anzieht. Was schwer wird. Mit wem sollte ich dort sprechen, mich für einen Augen-Blick, ein Lächeln verbinden?
Der Flohmarkt "Feira da Ladra" ist das eigentliche heutige Ziel. Dieses Mal laufe
ich voraus. Durch die Straßen ab der Bahnstation "Cais do Sodre". Vom Tejo aus nach oben zum Markt. Ich werde finden, was ich gar nicht suche. Der Held immer angespannter etwas kaufen wollen. Aber es nicht finden. Was meine bescheidene Freude über den kleinen, gefüllten Rucksack auf meinem Rücken zerstört.
Die Alfama steht auch noch auf dem "Programm". Nun bin ich mehr Touristin, als ich es je sein wollte. Auch die Kathedrale nehmen wir noch mit. Zum ersten und letzten Mal esse und trinke ich etwas außerhalb des "Little House Belém". Auf den Fotos kann ich es sehen. Und erinnere mich, wie wir an diesem Abend in Richtung Belém liefen und ich mich -angekommen- kaum traute meine kleinen, hölzernen Schätze auszupacken...
Die Karte nimmt mich auch noch mit zum letzten vollständigen Urlaubstag. Und entlockt mir ein Lächeln. Denn Wünsche werden sich erfüllen. Von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie hatte. Es ist Lissabon, das mir ein Geschenk macht. Und die Brücke, die mir ihres längst versprach und mich nun verlockt es einzulösen. Es ist die letzte Möglichkeit dazu...
An diesem Vorabend singt sie wieder leise ihr Lied, dass der Wind auf ihren Stahlsträngen geschickt wie auf einer riesigen Harfe zu spielen vermag. Es scheint mich zu fragen: "Wirst du morgen zu mir kommen?" Und ich nicke, ohne zu ahnen, was sich daraus entwickeln wird. Wie zwei Leben und Ansichten aufeinander prallen werden. Stand das nicht längst bevor?
"Erinnerst du dich?" fragte ich vorhin. Eine Antwort bekomme ich nicht. Es gibt wohl keine.
Ich schaue im Internet nach Übernachtungsmöglichkeiten. Weil ich
dort, genau
dort sein möchte. In aller Stille und Ruhe, mit meinem Skizzenblock und Stiften, dem kleinen, alten Fotoapparat, der mich schon so lange begleitet. Einem guten Buch.
Saudade. Sie ist da, voll ausgebrochen. Könnte ich "fliehen"? Einfach so? Welche Folgen hätte das am Ende?
"Schweig' still!" sagt der Verstand. Und: "Worauf wartest du?" das Herz.
Ach Portugal, ich nehme dich mit in die dunkle Nacht. Wie so oft...