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Eine grüne Azoren Insel

OScAR

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Diese alte Geschichte aus dem letzten Jahrhundert wird sie eines Tages aufwärmen. Eine Portugiesin vergißt so etwas nicht, sie lebt dafür. Ich sehe diesem Moment sehr gelassen entgegen, ahne ich doch nicht, daß die Herdplatte schon die Farbe wechselt.

Natürlich will ich mir – eines Tages – den Ort ansehen, an dem sie damals ihren Liebeskummer in Arbeit ertränken mußte. So sagt sie. Wegen mir.

Auf einer portugiesischen Insel? Aha!

Im dortigen Zollamt, also Alfandega? Aaaaha! Dort gibt es soviel Arbeit?

Und schon wechseln die Bilder vor meinem geistigen Auge, ich sehe Sonne, Palmen, Strand, blaues Wasser und weit im Hintergrund das verlassene Zollhäuschen der Insel, an dem die Farbe abblättert und die Tür schief in den Angeln hängt. Nun denn, dann laß uns diesen Reise ruhig antreten, kann ja nicht so schlimm werden.

Als wir auf halbem Weg nach Kuba sind, notlandet der Flieger auf einer Insel. Jedenfalls kommt es mir so vor. Doch als der Flieger ohne uns wieder abhebt, schleicht sich bei mir der Verdacht ein, daß wir am Ort der damaligen Verzweiflung angekommen sein müssen. Es regnet in Strömen. Jeden Tag. Wie im Regenwald. Also hatte sie den Liebeskummer nicht in Arbeit, sondern in Regenwasser ertränken wollen.

Ich schaue mich im Flughafengebäude um. Alles ist in Reichweite. Ankunft, Abflug, Gepäckband, Cafe, Geldautomat, Autovermietung, Souvenirshop, Toiletten. Fehlt nur noch der Chauffeur. Und der ist auch schon da.

Oha, ein gutsituierter Herr, etwas älter als ich, mit Schlips und Kragen, polierten Schuhen und einem Lächeln im Gesicht, das alleine meiner Begleiterin gilt. Nach einer Weile und nach vielen Bussis werde ich dem Carlos B. vorgestellt. Er lächelt sie noch immer an. Irgendwann später im Daimler werden mir ein paar Nebensätze übersetzt und zugeworfen. Und er lächelt noch immer. Botox.

Ohaaa, Konsul eines alpenländischen Staates. Das ist interessant. Auf dieser Insel? Sehr interessant. Und ich beschliesse, überall nach Mozartkugeln Ausschau zu halten. Er liefert uns vor dem Hotel ab und wünscht uns einen wunderschönen Aufenthalt. Küß die Hand, Madam, bis morgen früh. Servus, Herr Doktor.

Wir erfrischen uns und wollen uns im hoteleigenen Restaurant etwas stärken. Weil ich eine portugiesische Speisekarten ohnehin nicht lesen kann, lächle auch ich meine Begleiterin an und überlasse ihr – wie immer – Kontrolle, Auswahl und Bestellung. Für die Rechnung später wechselt die Kontrolle dann wieder zu mir. Aber auch sie schaut ungläubig in die Karte und kann nichts entziffern darin. Ich tippe auf Ungarisch, also nicht das Gulasch, sondern die Sprache. Es ist aber Finnisch. Na, ziemlich nahe gekommen. Und die einströmenden blonden, blassen und hochgewachsenen Touristen lassen erahnen, was die nächsten Tage auf uns zukommen wird.

Wir wechseln das Restaurant. Nein, wir haben nicht reserviert. Ja, wir warten gerne bei einem Gläschen auf einen freiwerdenden Tisch. Die Speisekarte gefällig? Meine Begleiterin hat endlich eine portugiesische Karte und ich eine deutsche, so jedenfalls steht es auf meiner geschrieben. Aber entziffern kann ich fast nichts, was dort geschrieben steht. Ich bitte um eine englischsprachige Ausgabe und vergleiche. Translated in China. Meine Kritik an der Übersetzung fällt auf fruchtbaren Boden und man reicht mir Papier und Stift. Nein, der Tisch ist noch besetzt. Also schwinge ich den Stift und übersetze und hinterlasse eine einzigartige Speisekarte, die von nun an von jedem Deutschen verstanden werden wird. Die Rechnung fällt demzufolge kaum ins Gewicht und ich kann sie aus der Portokasse begleichen.

Am Morgen säuselt der Daimler vor dem Eingang und wir steigen ein. Herr Konsul persönlich chauffiert uns um die Insel, erklärt alles und würzt hin und wieder die private Touristenführung mit Erinnerungen an vergangene Zeiten, als man sich in die besagte Arbeit stürzte. Dabei lächelt er meiner Begleiterin ununterbrochen zu und schaut kontinuierlich zu ihr hinüber auf den rechten Beifahrersitz. Der Herr Konsul hat den Rundkurs um die Insel im Uhrzeigersinn gewählt, also immer rechts herum. Wie günstig.

Der Regen hat nachgelassen und die schweren Wolken schieben sich hoch zu den Bergen. Und da vergesse ich für eine Weile die Beiden und sehe mich satt an dem Grün um uns herum. Hügel und Täler sind in einem unglaublich satten Grün gemalt, Bäume und Büsche wuchern ins Unendliche und die Straßen sind gesäumt von buntem Blumenrain. Wo immer wir entlang fahren, ich erfreue mich an Natur pur. Die Hortensie, die man ja auch die „Wasser-Schlürfende“ nennt, überschwemmt die Straßenränder.

Und je länger wir fahren, um so mehr bin ich erstaunt über die Sauberkeit auf dieser Insel. Kein Abfall, keine wilden Müllhalden, keine verfallenen Häuser. Herr Konsul ist sichtlich amused, als ich ihm meine Beobachtungen schildere. Er meint, es erinnere ihn wohl an die Schweiz. Lediglich die Hotelruine in den Bergen ist ein Schandfleck auf der grünen Weste der Insel.

Kurze Zeit später knirscht der Kies unter dem Daimler, als wir auf den Hof einer Tee-Plantage fahren. Formoso ist dort zu lesen. Moment, sind wir jetzt auf dieser Insel angelandet? War ja wohl auch einmal portugiesisch, überrasche ich Herrn Konsul mit meinem Wissen. Uns wird eine Führung angeboten, die sich trotzdem als informativ und besonders angenehm riechend herausstellt. Vom Strauch, durch Maschinen aus der Zeit der industriellen Revolution, bis zu den verkaufsfertigen Tüten. Heimlich schaue ich mich um und frage mich, wo wohl die kleinen Fäden um die kleinen Teebeutel gewickelt werden. Selbstverständlich offeriert uns Carlos B. ein Schmuckkästchen mit erlesenen Teesorten. Wenn mich einmal der Magen zwicken sollte, werde ich darauf zurück kommen. Beim Einsteigen kommentiert unser Chauffeur mein zuvor exponiertes Wissen mit einem Wort: Formosa.
Vom Vista do Rei dürfen wir den königlichen Blick hinunter auf den Lagoa Azul und den Lagoa Verde geniessen. Zwei Seen liegen unter uns, nur durch eine Brücke getrennt, aber beide haben völlig unterschiedliche Farben in diesem Vulkankrater. Herr Konsul entschuldigt sich für eine Minute und taucht in eine Hecke ein. Na, was sage ich denn dazu!

Der Daimler wird selbstverständlich nur auf dem breiten und gut ausgebauten Insel-Rundkurs bewegt, lediglich die ebenfalls vorzüglichen Querspangen werden miteinbezogen. Die kleinen Nebensträßchen, die Schotterwege oder die Bergpfade existieren auf der Daimler-Straßenkarte jedenfalls nicht. Schade.

Am nächsten Tag miete ich einen für mich standesgemäßen Kleinwagen und suche systematisch die Nebenstrecken. Dort treffen wir meist Rucksack-Touristen, die mit verklärten Gesichtern zur Höhe schreiten. Auch hier werde ich freudig überrascht von der Sauberkeit rundherum. In Caldheira Velha soll ich ganzjährig in einem natürlichen Thermalschwimmbad schwimmen können. Wir finden es etwas versteckt im grünen Wald und wird gerade als Filmkulisse benutzt. Doch dann machen wir uns auf zu den öffentlichen Kochstellen dieser Insel. Lagoa das Furnas geizt nicht mit warmem aber sehr überdüngtem und deshalb seltsam gefärbtem Wasser. Wir wenden uns zur Nordseite und folgen den immer intensiver werdenden Schwefeldämpfen, die aus der Erde, aus den Fumarolen dampfen. Luzifer muß hier eine weitere Dependance unterhalten. Kleine aber tiefe Löcher in der Erde werden von den Einheimischen gerne zum Kochen ihrer traditionellen Lieblingsspeise bevorzugt. Cozido das Furnas ist eine Mischung aus Fleisch, Würstchen, Kohl, Kartoffeln und anderem Gemüse. Die Erdwärme genügt völlig. Die Zubereitung dauert mehrere Stunden. Den Topf läßt man an einem Seil ins Loch hinab. Das Loch wird verschlossen und erst gegen Abend nach rund sieben Stunden wieder geöffnet. So gart der Cozido langsam vor sich hin. Aber was mache ich in diesen sieben Stunden. Baden gehen.

Weil die Kleidung jetzt ohnehin den Schwefelgeruch angenommen hat und mir eigentlich nur noch ein Pferdefuß zu fehlen scheint, besuchen wir Luzifers nächste Dependance in Caldeiras das Furnas. Aus 22 Quellen dampft und sprudelt es und in so manchen Spalten vernimmt man das Ächzen der Erdkruste tief im Inneren.

Der Norden der Insel ist eine eigene Welt. Unzählbare Täler verschlingen sich ineinander, alle überzogen mit saftigem Grün. Dazwischen die glücklichen Kühe, deren Abbildungen ich schon einmal irgendwo gesehen zu haben glaube. Ach ja, Continente, H-Milch Abteilung. Man gibt mir zu verstehen, daß jemand aus Lissabon schon gewisse Schwierigkeiten habe, dieses harte Portugiesisch zu verstehen. Ich nicke und stimme damit zu.

Von Nordeste aus versuchen wir am anderen Tag den höchsten Berg der Insel, den Pico da Vara zu stürmen. Das Wägelchen keucht zu dem über Tausend Meter hohen Berg hinauf, bis der Vorwärtsdrang abrupt aber deutlich unterbrochen wird. Weiterklettern nur noch zu Fuß. Ich kann meine Begleiterin überzeugen, daß die schönsten und eindruckvollsten Fotos immer von halber Höhe aus gemacht werden und wir ja gar nicht wissen, ob der Gipfel nicht doch in Regenwolken gehüllt ist. Stattdessen kurven wir zum schönsten aller Seen, dem Feuersee Lagoa do Fogo. Der liegt hoch oben in den Bergen in einem naturbelassenen Krater.

Die rudimentäre Straßenübersicht der Vermieters signalisiert mir deutlich, daß es eine Verbindung zwischen Nordeste und Povoacao geben muß. So eine kaum sichtbare dünne Linie ist doch der Beweis dafür. Und diesen Weg gilt es zu finden. Unglücklicherweise fegt man diese Insel offensichtlich zu gründlich, es gibt danach keine Hinweis- oder Straßenschilder, die mir bei der erfolgreichen Suche helfen könnten. Wieder und wieder landen wir in Nordeste und wollen schon aufgeben. Da fällt mein Blick auf die Polizeistation. Schnell und freundlich nach dem Weg gefragt. Polizist Nummer 1 zieht die Stirn in Falten und gibt sich sofort geschlagen. Polizist Nummer 2 übernimmt großzügig die Angelegenheit. Er erklärt gewissenhaft und verständlich. Polizist Nummer 3 kommt hinzu und erklärt Polizist Nummer 2 für inkompetent. Polizist Nummer 4 lächelt, greift zur Mütze und fordert uns auf, ihm zu folgen.

Seine satt-grüner Land Rover fegt vor uns die Straßen frei und mit unerlaubter Geschwindigkeit kurven wir über Schotterwege, bis mir schwindlig wird. Er hält den Wagen an, deutet zu den Berggipfeln und wünscht uns eine gute Fahrt. Ach, hier beginnt dieses Abenteuer? Wir jagen unser Wägelchen wieder einmal einen Berg hinauf und meine Begleiterin wird immer stiller und saugt das Naturschauspiel in sich auf. An den inneren Steilhängen wuchern dichte und feuchte Wälder. Glücklicherweise sind diese Steilhänge immer rechts des Weges, was zu meiner Entspannung erheblich beiträgt. Jetzt kann auch ich freundlich lächelnd zu meiner Beifahrerin nach rechts schauen. Sie jedoch schickt immer öfter entsetzte Blicke in die Tiefe.

Die Bäume stehen dicht und ragen hoch wie Kirchtürme. Ein zügiges Vorwärtskommen ist uns nicht gegönnt, weil der Weg alles andere als befahrbar ist und ein Wenden aussichtslos scheint. Außerdem lege ich keinen Wert auf Steilhänge auf der linken Seite. So treibt es uns Gipfelstürmer in ungeahnte Höhen bis zur höchsten Stelle. Aber auch dort kann es zu Verkehrsstau und Wartezeiten kommen. Ein Holzfällertrupp mit schwerem Gerät hat nicht nur die atemberaubende Aussicht verbessert, sondern auch den Weg in ein Schlammbecken verwandelt. Ein Durchkommen gibt es hier nur mit U-Boot oder Panzerketten. Umdrehen? Untergehen? Da schwingt sich der Herr Vorarbeiter in einen Monstertruck und bringt mit einem Räumschild die Schlammassen in Bewegung. Zweimal durchpflügt er den Brei und beim dritten Mal müssen wir ihm dicht auf den Fersen folgen. So teilt er wie weiland Moses den Schlamm vor uns, der sich hinter uns zugleich wieder schließt. Von da an geht es bergab. Und ich stelle mir vor, wie man dieses Abenteuer touristisch einsetzen könnte.

Der letzte Tag ist angebrochen und der Daimler steht bereit. Als Herr Geheimrat die angetrocknete Schönheitsmaske des Mietwagens erblickt, ist er etwas irritiert darüber. Ich kann ihm diesen kleinen Ausflug nur empfehlen. Da setzt sein Lächeln wieder ein und er verspricht, bei Gelegenheit seinen nagelneuen Landcruiser dorthin zu bewegen. Servus, Herr Doktor.

OScAR

Fotos dazu:
 
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